Das Steinkreuz an der Engstlatter Steige

erstellt am 17. Februar 2010 in Kategorie: Heimat & Kultur, Historisches

Eine Darstellung von Hermann Matthäus Schöllkopf aus dem Jahre 1933 – Schöllkopf war von 1920 – 1929 Hauptlehrer in Engstlatt

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Grau und verwittert lehnt ein Steinkreuz an der Engstlatter Steige, an jener Straße, auf der einst Goethe nach dem Land seiner Sehnsucht zog. Müde ist es zur Seite gesunken, als hätte ihm sein Geheimnis und die Last der Jahre Wurzeln zernagt. Moose und Flechten überwuchern das Mal und haben im Verein mit Wind und Regen die Inschrift ausgelöscht, die auf ihm eingegraben war, wenn überhaupt je welche dort stand.

Es muss schon sehr alt sein, das Kreuz, denn niemand achtet seiner, keine Ortssage hat ihr graues Gewebe um seine Balken gehängt. Fragt man einen Einheimischen um seine Bedeutung, so quetscht er einige Worte von Kinds- und Brudermord zwischen den Zähnen hervor, aber das ist nichts Bestimmtes.

Mein alter Freund Rist, der als Kind noch „Häcker“ gespielt (1.) und dessen Vater noch die französischen Durchmärsche unseligen Andenkens erlebt hatte, erzählte mir von einer Mordtat, die an jener Stelle, gerade in diesen Tagen geschah. „Aber das Kreuz ist schon viel älter“, fügte er bei.

Von Grosselfingen drüben war der Bürger Bogenschütz mit seiner Stute beim Hengst in Balingen gewesen. Bei guter Stunde hatte er sich auf den Weg gemacht, um so bald wie möglich wieder zu Hause zu sein; es tat in selbiger Zeit nicht gut, wenn der Mann zu lange außer Rufweite vom Hof war.

Am Ortsausgang von Engstlatt gegen Balingen hin, dort wo man von „Hohenheim“ spricht, stellten sich ihm an die zehn französische Marodeure, Nachzügler vom Haupttrupp abgesprengt, in seinen Weg. Die mochten nun denken, ihnen stünde das Reiten besser an als dem zwilchhemdenen Bauern, auch wüssten sie mit dem Erlös aus dem Ross besser umzugehen als jener und forderten den Grosselfinger weniger höflich als nachdrücklich auf, abzusteigen. Der Bauer aber hatte seine besondere, feste Ansicht über das Mein und Dein, und wollte sich von seinem Eigentum nicht trennen. Darüber kam es zum Handgemenge. Die Schnappsäcke,, gewohnt, den Vogel an den Federn zu fassen, machten nicht viel Umstände und schossen Bogenschütz vom Pferd. „I muess sterbe, i be en hohla Leib gschossa“, mit diesen Worten sank er zur Erde.

Der Lärm des Streites war nicht ungehört verhallt. Der Hohenheimer stürzte sich, mit einer Sense bewaffnet, aus seiner Hofraite, andere Anlieger der Staige folgten ihm,  zumal in kürzester Frist die Sturmglocke von der Kirche über die Dächer hinschrie. Das war einmal ein gefundenes Fressen, da hatte man endlich einmal ein paar solcher Vögel erwischt, denen man ordentlich nach Herzenslust die Federn zausen konnte. Die lang verhaltene Wut der Männer schlug in lichten Flammen empor ― und als die Schlacht zu Ende war, lagen drei oder vier der Buschklepper tot am Wege.

Nur einen Tag lang konnten sich die Engstlatter ihres Sieges freuen, dann aber „war Holland in Not“. Die Entkommenen, überfallenen Unschuldsengel natürlich, hatten bei ihrem Kommando in Balingen Meldung gemacht und dabei das Sturmläuten gehörig heraus-gestrichen. In der Frühe des anderen Tages rückten von Balingen her 500 Mann zur Exekution nach dem verzweifelten Dörfchen und besetzten einstweilen den Pfarrgarten. Schulmeister Schick (2.), der wohl am Sturmläuten nicht ganz unbeteiligt war, wirft die Betten und anderen Hausrat zum Fenster hinaus und flüchtete mit seiner Familie und seinen Habseligkeiten gegen das Häldle. Jetzt gellt der Ruf durch die Gassen: „Das Dorf brennt an allen vier Ecken!“, und brausend schlägt die Woge der Verzweiflung über der Ortschaft zusammen.

Es war falscher Alarm. Alles ging nochmals gnädig vorbei. Der Fürst von Hohenzollern-Hechingen ― das französische Oberkommando befand sich dort ― ließ es sich nicht gefallen, dass man einen seiner Untertanen so schmählich ums Leben gebracht hatte.  Auf seinen Protest hin wurde dem Befehlshaber in Balingen mitgeteilt, den Nachzüglern sei recht geschehen, die Bande hätte beim großen Haufen bleiben sollen. Damit war auch Engstlatt gerettet. Dem Pfarrer Flattich (3.) (einem Sohn des bekannten Münchinger Pfarrers Flattich, bis 1811 in Engstlatt) wollte man aber des Sturmläutens wegen doch auf den Leib rücken. Er redete sich jedoch hinaus. Vom Sturmläuten sei gar keine Rede gewesen, denn da gerade ein Feiertag war, habe man zur Kirche geläutet, meinte er. Damit hatte es sein Bewenden.

Was wird man in abermals hundert Jahren vom Kreuz erzählen?

Hermann Schöllkopf (1933)

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Hermann Matthäus Schöllkopf, *6.12.1891 in Esslingen am Neckar, + 5.5.1942 in Reutlingen, 1920 – 15.7.1929 Hauptlehrer in Engstlatt.

(1.)          Friedrich Hecker, * 28.9.1811 in Eichtersheim, + 24.3.1881 in Summerfield USA, Freiheitskämpfer.

(2.)          Johannes Schick, * 3.2.1771 in Bitz, + 14.12.1847 in Meidelstetten, 3.4.1793 – 1843 Schulmeister in Engstlatt.

(3.)          Andreas Friedrich Flattich, * 22.12.1752 in Metterzimmern, + 24.12.1824 in Engstlatt, 23.4.1788 – 24.12.1824 Pfarrer in Engstlatt.

Literatur:

Württemberg-Monatsschrift im Dienste von Volk und Heimat

Herausgeber: August Lämmle/Verlag: W. Kohlhammer, Stuttgart

Jahrgang/Heft: 5/10

Datum: Okt.1933

Schöllkopf Artikel: Das Steinkreuz an der Engstlatter Steige